Künstler*Innen

Sivickas, Nijole

Senora (Lady), 1977
(c) Nijole Sivickas Archive, Foto: Antanas Mockus

Nijolė Šivickas (Litauen, 1925–Kolumbien, 2018) ist nie gestorben; sie lebt mit ihren Arbeiten als ein einziges Wesen. Wenn man nah genug herangeht, sieht man ihre Hände eine ihrer Kreationen formen, hört man ihre Skulpturen Gedichte rezitieren, die aus den Tiefen der Erde stammen, Mixturen aus Blut und Knochen, aus Schmerz und Hoffnung. Ihre Wesen erstrecken sich über Zeit und Raum, heißen wer auch immer zu Besuch kommt mit einer herzlichen Umarmung willkommen. Sie setzen sich mit unmöglichen Formen und Volumina über physikalische Gesetzmäßigkeiten hinweg, ihre Charaktere erschüttern die gesellschaftlichen Grundfeste mit unerschütterlicher Demut. Šivickas mischt in ihren Arbeiten Keramik, Metall, Holz und Oxid und zeigt so ihre Verbindung mit den natürlichen Qualitäten ihrer Materialien.
Die Auswahl an figurativen, abstrakten und installativen Arbeiten stammt aus unterschiedlichen Phasen ihres Oeuvres. Es sind Wesen, die über das Menschsein berichten: Señora (Dame) ist eine selbstbewusste reife Frau. Idiota (Idiot) ist jede und jeder von uns, ahnungslos und gleichzeitig gelassen gegenüber dem Mysterium des Daseins. In Escena de Cinco (Fünfer-Szene) wird Šivickas zur Filmregisseurin, die eine Mise en scène aus fünf Wesen organisiert, ihren Individualitäten in der Gemeinschaft Ausdruck verleihend. Pesadilla (Alptraum) betritt einen dunklen und dichten Traum mit bittenden Händen, toten Füßen und musternden Augen. Colgado (Gehängt) inszeniert einen tragischen Tod inmitten der Unermesslichkeit des Unbekannten. Aus dieser Leere werden wir mit Semilla (Saat) wiedergeboren: Ein heiliges Ei wird von einer unsichtbaren Hand vorsichtig aufgeschnitten. Und mit einem verspielten Lächeln in ihrem Gesicht lässt uns Šivickas den Schmerz brennenden Eisens auf unserer Haut spüren, das uns wie Kühe mit dem Label MUJER (FRAU) brandmarkt.
"Ich bin nicht vor dem Material. Das Material ist neben mir. Ich schaue es an und es beobachtet mich. Und so beginnt das Gespräch: Ich forme ein Objekt aus dir und du zwingst mich, dich in meinen Händen zu halten, während du versuchst, dich zu erheben. Kämpfen wir?, fragst du. Wir sind zwei Wesen, du bist bereits ein Objekt, und ich bin in dir. Schau, du hast meine Hand und mein Bein verletzt. Aber du hast mich mit einem Messer geschnitzt."
Und so hört das Gespräch nie auf ...

Text: Maria Cecilia Reyes

Nijolė Šivickas (Litauen, 1925–Kolumbien, 2018) ist nie gestorben; sie lebt mit ihren Arbeiten als ein einziges Wesen. Wenn man nah genug herangeht, sieht man ihre Hände eine ihrer Kreationen formen, hört man ihre Skulpturen Gedichte rezitieren, die aus den Tiefen der Erde stammen, Mixturen aus Blut und Knochen, aus Schmerz und Hoffnung. Ihre Wesen erstrecken sich über Zeit und Raum, heißen wer auch immer zu Besuch kommt mit einer herzlichen Umarmung willkommen. Sie setzen sich mit unmöglichen Formen und Volumina über physikalische Gesetzmäßigkeiten hinweg, ihre Charaktere erschüttern die gesellschaftlichen Grundfeste mit unerschütterlicher Demut. Šivickas mischt in ihren Arbeiten Keramik, Metall, Holz und Oxid und zeigt so ihre Verbindung mit den natürlichen Qualitäten ihrer Materialien.
Die Auswahl an figurativen, abstrakten und installativen Arbeiten stammt aus unterschiedlichen Phasen ihres Oeuvres. Es sind Wesen, die über das Menschsein berichten: Señora (Dame) ist eine selbstbewusste reife Frau. Idiota (Idiot) ist jede und jeder von uns, ahnungslos und gleichzeitig gelassen gegenüber dem Mysterium des Daseins. In Escena de Cinco (Fünfer-Szene) wird Šivickas zur Filmregisseurin, die eine Mise en scène aus fünf Wesen organisiert, ihren Individualitäten in der Gemeinschaft Ausdruck verleihend. Pesadilla (Alptraum) betritt einen dunklen und dichten Traum mit bittenden Händen, toten Füßen und musternden Augen. Colgado (Gehängt) inszeniert einen tragischen Tod inmitten der Unermesslichkeit des Unbekannten. Aus dieser Leere werden wir mit Semilla (Saat) wiedergeboren: Ein heiliges Ei wird von einer unsichtbaren Hand vorsichtig aufgeschnitten. Und mit einem verspielten Lächeln in ihrem Gesicht lässt uns Šivickas den Schmerz brennenden Eisens auf unserer Haut spüren, das uns wie Kühe mit dem Label MUJER (FRAU) brandmarkt.
"Ich bin nicht vor dem Material. Das Material ist neben mir. Ich schaue es an und es beobachtet mich. Und so beginnt das Gespräch: Ich forme ein Objekt aus dir und du zwingst mich, dich in meinen Händen zu halten, während du versuchst, dich zu erheben. Kämpfen wir?, fragst du. Wir sind zwei Wesen, du bist bereits ein Objekt, und ich bin in dir. Schau, du hast meine Hand und mein Bein verletzt. Aber du hast mich mit einem Messer geschnitzt."
Und so hört das Gespräch nie auf ...

Text: Maria Cecilia Reyes

Senora (Lady), 1977
(c) Nijole Sivickas Archive, Foto: Antanas Mockus